Pädagogisches Leitbild

1. Bild vom Kind im Naturraum
2. Bild der pädagogischen Mitarbeiterin im Naturraum
3. Der Naturraum als „dritter Pädagoge“
4. Kindliche Lernprozesse


1. Bild vom Kind im Naturraum

„Du hast das Recht, genauso geachtet zu werden wie ein Erwachsener.
Du hast das Recht, so zu sein, wie du bist.
Du musst dich nicht verstellen und so sein, wie es die Erwachsenen wollen.
Du hast ein Recht auf den heutigen Tag,
jeder Tag deines Lebens gehört dir, keinem sonst.
Du, Kind, wirst nicht erst Mensch,
du bist Mensch.“

(Janusz Korczak)

  • Kinder besitzen große Potenziale. Jedes Kind verfügt über eine große Anzahl von Möglichkeiten, seine persönlichen Qualitäten zu entfalten. Kinder haben das Recht, darin unterstützt zu werden.
  • Kinder sind soziale Wesen. Sie sind von Geburt an auf mitmenschliche Kontakte ausgerichtet und auch auf diese Beziehungen angewiesen.
  • Kinder brauchen es, in ihrer Einzigartigkeit gesehen und wertgeschätzt zu sein.
  • Kinder brauchen Hoffnung und haben einen Anspruch auf eine Umgebung, in der diese Hoffnung Nahrung erhält.
  • Kinder haben das Recht, vorurteils- und wertungsfrei angenommen zu sein.
  • Kinder brauchen einen Handlungsrahmen, der ihnen Sicherheit und Orientierung gibt.
  • Kinder brauchen Rituale.
  • Kinder sind neugierig und brauchen anschauliche, ganzheitliche, Lernbedingungen.
  • Kinder haben Anspruch auf sinnvolle, lebenspraktische Aktivitäten.
  • Kinder sind aktive Konstrukteure ihres Wissens. Sie nehmen nicht passiv, durch Belehrung, fertiges Wissen auf, sondern erstellen aus dem, was sie hören, sehen, erfahren und ausprobieren, aktiv eine individuelle Wissensstruktur.
  • Kinder sind Impulsgeber und Impulsempfänger.
  • Kinder haben eigene Ausdrucksformen.
  • Kinder haben eigene Zeitrhythmen im Spiel.
  • Kinder haben ein Recht auf ungestörte Spielabläufe und wollen so frei wie möglich mit Zeit, Material und Raum umgehen.
  • Kinder wollen Konflikte selbstbestimmt lösen.
  • Kinder haben ein Recht auf Langeweile und Langsamkeit.
  • Kinder haben ein Recht auf Rückzug und darauf, Zeit alleine zu verbringen, wenn sie das wollen.
  • Kinder brauchen Platz für raumgreifende Bewegungsabläufe.
  • Kinder realisieren über Körpererfahrung Selbsterfahrung.
  • Kinder sind fantasievoll und kreativ, sie wollen in der Natur autonom interpretieren und agieren.
  • Kinder haben das Bedürfnis Spuren zu hinterlassen.
  • Kinder haben im Naturraum die Chance, den Prozess der Zivilisation zu durchleben. Sie sind Pioniere, Entdecker, Hüttenbauer, Werkzeugmacher und Sammler.
  • Kinder sind großartig: Sie sind bereit, Erwachsene an ihren Erlebnissen teilhaben zu lassen und Begeisterung mit ihnen zu teilen.

(Vergl. Ingrid Miklitz: Der Waldkindergarten – Dimensionen eines pädagogischen Ansatzes, S. 66-68 /
Wolfgang Ulrich u. Franz-J. Brockschnieder: Reggio-Pädagogik im Kindergarten, S. 25)



2. Bild der pädagogischen Mitarbeiterin im Naturraum

„Wenn ein Kind
seinem angeborenen Sinn für Wunder
lebendig halten soll…
braucht es die Gesellschaft
wenigstens eines Erwachsenen, dem es sich mitteilen kann,
der mit dem Kind zusammen
die Freude, die Aufregung
und das wunderbare der Welt,
in der wir leben,
wieder entdeckt.“

(Rachel Carson)

  • Die pädagogische Mitarbeiterin ist sich ihrer Vorbildfunktion bewusst und verhält sich so, dass sie den Kindern eine wertvolle Orientierung sein kann.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin unterstützt die Selbstwirksamkeitskräfte (die Erfahrung, in dieser Welt durch Handeln etwas bewirken zu können) der Kinder.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin unterstützt Situationen, die das Kind zum Experimentieren und Erfinden anregen.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin ist selbst neugierig und setzt in den Jahren ihrer Tätigkeit im Naturraum unterschiedliche Schwerpunkte, um sich diese Neugier zu erhalten.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin zeigt den Kindern durch verbale und nonverbale Äußerungen auch eigene Gefühle und lässt die Kinder daran teilhaben.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin begleitet die Kinder, getragen von dem Wunsch, sie zu verstehen, ihre Interessen und subjektiven Bewältigungsformen wahrzunehmen, anzunehmen und nach Möglichkeit zu fördern.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin ist bereit, Zeit und Zuwendung zu geben, wenn ein Kind dies braucht.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin beobachtet die einzelnen Kinder sowie die gesamte Gruppe, um die Kompetenzen und Ressourcen zu erkennen und nutzt dieses Wissen im Umgang mit Schwierigkeiten und Defiziten in anderen Bereichen.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin hat die notwendige Geduld, um Phasen des Suchens nach Lösungen bei Kindern zuzulassen, auch wenn sie länger andauern und über (lehrreiche) „Umwege“ zum Ziel führen.
  • Stolpersteine auf dem Weg zu einer Erkenntnis sollen die Kinder möglichst selbst oder zusammen mit dem Erziehenden aus dem Weg räumen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen kann so am besten gefördert werden.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin weiß um die Bedeutung des freien Spiels in der Natur, weil es selbstgesteuerte und aus einem unabhängigen Impuls entstandene Erfahrungen ermöglicht, entsprechend der individuellen Lernbiografie eines Kindes.
  • Die pädagogische Mitarbeiterin nimmt wahr, wenn Kinder ins Spiel oder in eine Beobachtung vertieft sind, einen Zustand des „Fließens“ erreicht haben. Die Gefühle des Kindes sind dabei hochkonzentriert auf ein Objekt gerichtet. Das Kind befindet sich im Zustand der Selbstvergessenheit, auf dem Höhepunkt eines Lernprozesses. Die pädagogische Mitarbeiterin achtet diesen Zustand und stört die Kinder nur, wenn es unumgänglich ist.
  • Nichts in der Natur ist ohne Bedeutung. Die pädagogische Mitarbeiterin unterstützt diese Erfahrung durch ihren respektvollen, sorgsamen Umgang.
  • Regelverletzungen können im Naturraum unter Umständen gefährliche Auswirkungen haben; die päd. Mitarbeiterin achtet auf die Einhaltung von Regeln, Ge- und Verboten.

(Vergl. Ingrid Miklitz: Der Waldkindergarten – Dimensionen eines pädagogischen Ansatzes, S. 65-66)


3. Der Naturraum als „Dritter Pädagoge“

„In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken,
man jahrelang im Moos liegen könnte.“

(Franz Kafka)

  • In direktem, dauerhaften Kontakt zur Natur üben Kinder Umsichtigkeit und Rücksicht mit ihr. Die Achtung vor dem Leben bzw. vor der Schöpfung und das Begreifen des eigenen Ichs als Teil des Lebens wecken Gefühle der Liebe, Vertrautheit und Verantwortung.
  • Das hautnahe Erleben der Prozesse von Werden und Vergehen in der Natur stärkt die Kinder für den stetigen Wandel ihres eigenen Lebens.
  • Feuer, Wasser, Luft und Erde gehören zu den existentiellen Lebensgrundlagen des Menschen. Das Erleben dieser Elemente, der Umgang mit ihnen und den Naturerscheinungen wie Hagel, Schnee, Regen und Nebel bereichern das Kind in seiner Persönlichkeit.
  • Mehrere Stunden tägliche Bewegung in frischer Luft stärkt seelische und körperliche Gesundheit, besonders das Immunsystem.
  • Weiter Raum, Stille und Zeit (äußerer Rahmen) fördern emotionale Stabilität, Konzentrationsfähigkeit und Ausgeglichenheit der Kinder in hohem Maße.
  • Das Fehlen von „fertigem“ Spielzeug regt die Fantasie und Kreativität an. Die Kinder konsumieren nicht, sondern haben die Möglichkeit, selber kreativ zu sein, sich ständig auf veränderte Situationen einzustellen und dafür Lösungen zu finden. Sie erfahren so auf intensive Weise ihre Sebstwirksamkeitskräfte.
  • Die Natur bietet eine große Vielfalt an Bewegungsanlässen und -möglichkeiten. Die eigenen Kräfte ausprobieren können, hüpfen, springen, klettern, balancieren, kriechen stärken Sicherheit und Selbstbewusstsein. Das Erfahren von körperlichen Grenzerlebnissen schafft ein stabiles Fundament, um auch mit psychischen Belastungs- und Stresssituationen besser umgehen zu können. Darüber hinaus ist eine ausgeprägte Grobmotorik die Basis für eine funktionierende Feinmotorik.
  • Die Natur bietet eine Menge an Material, das vorsichtig und geschickt angefasst werden muss, z.B. Kleintiere, Rinden und Blüten und fördert somit auch feinmotorische Fähigkeiten.
  • Alle fünf Sinne des Kindes – Fühlen, Hören, Riechen, Schmecken und Sehen – werden in einer Differenziertheit angesprochen, die der Vielfalt der natürlichen Umgebung entspricht. Die Intelligenz des Kindes wird angeregt und gefördert. Das Kind lernt vorwiegend über das eigene Tun, Erproben, Untersuchen, Experimentieren, Erfinden und Erleben. Sinne sind der Weg zum Gehirn.

(Vergl. Ingrid Miklitz: Der Waldkindergarten – Dimensionen eines pädagogischen Ansatzes, S. 26-28 / Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V.: Informationsbroschüre zum Thema Wald- und Naturkindergärten in Schleswig-Holstein, S. 9)


4. Kindliche Lernprozesse

„Der Bau der Kenntnisse ist ein großer Tanz, der sich in Raum und Zeit bewegt.
Der Prozess des Lernens ist eine täglich neue Mischung der Kenntnisse.
Kinder lernen nicht linear, ihr Lernen gleicht dem Flug eines Schmetterlings,
der sich bald hier, bald dort niederlässt.“

(Laewen 1998, S.8)

Wo sich Schmetterlinge wann und in welcher Reihenfolge niederlassen, ist nicht festgelegt. Jeder Lernprozess ist bei jedem Kind immer wieder ein neuer Tanz mit neuen Figuren, Schritten und neuem Tempo.

  • Lernprozesse sind offen gestaltet, damit jedes Kind einen individuellen Zugang finden kann.
  • Ergebnisse von Lernprozessen sind und dürfen individuell unterschiedlich sein.
  • Gelehrt ist noch nicht gelernt. Im Mittelpunkt steht der Erkenntnisprozess selbst, das Lernen des Lernens.
  • Entdeckendes, forschendes Lernen erhält und weckt Begeisterung.
  • Entdeckendes, forschendes Lernen stärkt die Fähigkeit der Kinder differenziert wahrzunehmen und zu fühlen, schult eigenständiges Denken und kreatives Handeln.
  • Intensive Sinneserfahrungen sind die Basis jeglichen Lernens.

(Vergl. Wolfgang Ullrich u. Franz-J. Brockschnieder: Reggio-Pädagogik im Kindergarten, S. 28-29)